Ich weiß besser was Du willst als Du selbst

Eine der schlimmsten Diskriminierungen ist die unerwünscht aufgedrängte Hilfe, denn sie unterstellt dem ‚Opfer‘ Hilflosigkeit, also Unvermögen und Schwäche.

Eine alte Frau möchte die Straße überqueren, aber der Verkehr ist zu stark. Da kommt der Retter, hakt sie unter, stoppt den Verkehr und bringt die Dame auf die andere Straßenseite – Heldentat.

Einige Jahre später laufen seine Jünger durch die Städte und tragen jede alte Frau auf die sie treffen auf die andere Straßenseite – auch wenn gar kein Verkehr ist oder die Frau gar nicht rüber will. Irgendwann fange die alten Damen an zu protestieren, sie wollen selbst entscheiden ob sie auf die andere Seite möchten oder nicht, aber ‚Die Retter‘ sind erbarmungslos – und feiern sich selbst als die Helden der Neuzeit. Sie erkennen endlich das Auto als den wahren Feind älterer Frauen: Das Cartriarchat ist Schuld und muss unerbittlich bekämpft werden. Eifrige Jünger nehmen alten Frauen ihre Autos ab und zerstören sie, zünden Tankstellen an und entdecken die versteckten Zeichen des Cartriarchats überall. Diese sind vielfältig und werden mutig bekämpft: Sie sägen Verkehrsschilder ab und Ampeln, Fahrbahnmarkierungen werden übermalt, einige wollen Brücken sprengen …

Bei uns fuhr die Straßenbahn direkt neben dem Bürgersteig, eine gefährliche Situation, die schon Grund für viele Unfälle war. Einmal hatte sich ein etwa 4 Jahre alter Junge von seiner Mutter losgerissen und rannte auf mich zu – direkt am Straßenrand. 10 Meter dahinter die atemlose Mutter, ohne Chance den kleinen Ausreißer zu erwischen, und das Quietschen der Bahn wurde schon lauter – Lebensgefahr.

Als der Junge mich erreicht springe ich über meinen Schatten und halte den kleinen Ausreißer fest. Und die dankbare Mutter im Hintergrund ruft: „Lassen sie sofort meinen Jungen los, wir müssen die Bahn noch erreichen!“ – ist mir so passiert.

Da kann man jetzt mal drüber nachdenken. Kleiner Tipp: es ist nicht alles so, wie es scheint.

In Womenshealth [Feminismus – Warum Frauen nicht gegen Feministinnen sein sollten] fühlt sich einer dieser ‚Helden der Neuzeit‘ – Jens Clasen – berufen, den Feminismus zu verteidigen. Er fragt zu Beginn: „Wenn nicht einmal alle Frauen grundsätzlich für Feminismus sind, wie sollen wir dann je die Männer überzeugen?

Statt sich zu fragen, wie er die Männer überzeugen kann, sollte er sich vielleicht fragen, warum die meisten Frauen gegen Feminismus sind. Vielleicht glaubt er ja nur, die Wünsche Der Frauen zu kennen.

Aber nein, der Feminismus rettet die Frauen, z.B. vor: „sexuelle Belästigung, systematisches sprachliches Kleinmachen von Frauen oder Nicht-Anerkennung ihrer Leistungen“ Wer darf  eigentlich definieren, was ’sexuelle Belästigung‘ ist? In Frankreich waren das Feministen, da wird hinterherpfeifen bestraft – während mir schon mehrere Frauen gesagt haben, dass sie das Pfeifen genießen. ’systematisches Kleinmachen‘ und ‚Nicht-Anerkennung …‘ kenne ich – habe ich schon selbst erlebt, auch bei anderen Männern; und natürlich auch bei Frauen. Ist weit verbreitet und böse, hat aber nichts mit Frauen zu tun. Außer vielleicht, dass besonders Frauen andere Frauen klein machen.

Dann wird der Autor etwas beleidigend, rückt Frauen die gegen Feminismus sind in die Nähe von Impfgegnern, die von dem Mut der anderen profitieren, und verweist auf die glorreichen feministischen Erfolge der Vergangenheit, wobei er bis 1919 (Frauenwahlrecht) zurück geht. Geschenkt. Aber die Vergangenheit ist eben vergangen, heute ist 2020.

Auf der Suche nach Beispielen für den Sinn des feministische Kampfes schafft er es dann nicht ein mal, den pinkfarbenen Damenrasierer zu umfahren, der mehr kostet als das gleiche Modell in schwarz – für Männer. Wieso beleidigt er eigentlich immer Frauen? Wenn die wirklich nicht in der Lage wären, sich den Rasierer zu kaufen, den sie haben wollen, dann müsste ihnen doch wohl das Wahlrecht entzogen und nicht der Preis des Rasierers diktiert werden? Man kann sich grundsätzlich fragen, ob es richtig ist, dass Verkäufer ein Angebot zu ihrem Preis machen dürfen und der Kunde dieses Angebot annehmen kann oder nicht. Aber Sonderregeln für Rasierer, weil der Preis nicht von der Farbe abhängen darf da bestimmte Kunden bestimmte Farben bevorzugen? Darf dann ein Auto mit roter Lackierung auch nicht mehr mehrere hundert Euro teurer sein als das selbe Modell in schwarz?

Und natürlich glaubt er immer noch, Frauen würden schlechter bezahl als Männer … Zu den geringst-Verdienern gehören z.B. die Glas- und Gebäudereiniger – fast nur Männer! Sind ihm Tatsachen grundsätzlich fremd?

Zum Schluss landet er dann den Volltreffer: „… dass es viele Frauen gibt, die … oft sehr wohl darauf angewiesen [sind], dass jemand für sie eintritt.“ Denkt er beim Schreiben nach oder glaubt er wirklich, das sei ein typisches Frauenproblem? In den meisten Fällen haben Männer und Frauen nämlich die gleichen Probleme im Alltag: den Idioten über sich, gegen den sie sich aus irgendeinem Grund nicht wehren können. Und das kann ein Mann oder eine Frau sein, aber das Geschlecht ist eigentlich vollkommen egal. Verantwortungsvoller Umgang mit Macht, das ist ein Problem – und Frauen haben unerhört viel Macht über Männer.

Nur in seinem Schlusswort kann er meine Zustimmung finden: „Frauen verdienen gleiche Rechte …“ Aber es dürfte schwierig werden, ihnen ihre Sonderrechte im Sexualstrafrecht und im Familienrecht wieder wegzunehmen.

Herr Clasen glaubt tatsächlich besser zu wissen, was Frauen brauchen, als diese selbst und erliegt obendrein noch dem Opfermythos, nachdem Frauen schwach und dumm sind und einen Beschützer brauchen, der ihnen die Kartoffeln aus dem Feuer holt. In welchem Mittelalter lebt Herr Clasen eigentlich?

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