ProfessX Lesch und die Gleichberechtigung – 3

Eine Analyse – Teil 3: Erwartungswerte

In Punkt 7 spricht Lesch plötzlich von einem Erwartungswert für die Verteilung von Machtpositionen. Erwartungswert – da sollte er sich auskennen als Wissenschaftler.

Was ist ein Erwartungswert? Stellen wir uns einen großen undurchsichtigen Beutel vor, in den 1.000 gestreifte (gs) und 1.000 gepunktete Kugeln (gp) sonst vollkommen gleicher Beschaffenheit geschüttet wurden. Und dann wurden die Kugeln natürlich gut gemischt.

Zieht man nun ohne hinzusehen eine Kugel, kann die gepunktet (gp) oder gestreift (gs) sein, das kann niemand vorhersagen. Zieht man 10 Kugeln, kann man durch Zufall 10 gp oder auch 10 gs Kugeln ziehen, aber das würde man schon für sehr merkwürdig halten. Erwarten würde man doch, dass etwa gleich viele gs und gp Kugeln gezogen werden, denn von beiden sind gleich viele vorhanden und es wird keine Sorte irgendwie bevorzugt.

Wenn man das Experiment wieder und wieder durchführt, sollte man also etwa 50% gs und 50% gp Kugeln ziehen, sonst stimmt etwas nicht. fifty-fifty ist in diesem Fall der Erwartungswert: wenn gleich viele Kugeln von jeder Sorte im Beutel sind, sollten im Mittel auch gleich viele jeder Sorte gezogen werden. Befinden sich unterschiedlich viele Kugeln der Typen im Beutel, ergeben sich entsprechend auch andere Erwartungswerte. Sind 3 mal so viele gs Kugeln wie gp im Beutel, sollten auch 3 mal so viele gezogen werden – im Mittel. Und so weiter.

Wenn man also weiß, wie viele Kugeln im Beutel sind, kann man für Ziehungen den Erwartungswert berechnen. Aber wie viele Kugeln von jeder Sorte sind denn zu Beginn im Beutel? Und das gilt natürlich nicht nur für Beutel mit Kugeln sondern auch für Zettel mit Namen in einer Kiste – wie bei einer Wahl oder bei einer Bewerbung. Um das Beispiel auf eine Gesellschaft zu übertragen: Wie viele Männer und Frauen sind denn bei einem Bewerbungsverfahren  in den entsprechenden Bewerbergruppen, wie viele bewerben sich jeweils? Nur wenn das bekannt ist, kann der Erwartungswert ermittelt werden!

Wenn alle Menschen im ‚Beutel‘ wären, also etwa so viele Frauen wie Männer, würde man als Erwartungswert 50% für jedes Geschlecht erwarten. Aber dann würde die Argumentation mit den Erwartungswerten – entsprechend dem Anteil an der Bevölkerung – natürlich auch auf alle anderen Eigenschaften zutreffen. Dann würde man z.B. in Firmenvorständen arbeitslose Frauen genauso erwarten wie brotlose Künstler, Filmstars, Lehrer, Kindergärtner usw. usw. Was für ein Wahnsinn.

Wenn aber nicht alle ‚im Beutel‘ stecken, gibt es zunächst keinen Grund dafür, 50% Männer und 50% Frauen zu finden, das müsste erst untersucht werden. Insbesondere müsste man sich Gedanken über Kausalitäten machen: warum findet man diese und jene in den Bewerberlisten für Jobs oder Parteiämter etc. andere aber nicht? Sind Menschen vielleicht verschieden, wollen manche, was andere nicht wollen? Das absolut Mindeste, was man von einem Wissenschaftler erwarteten kann ist, dass das alles erwähnt wird, was noch untersucht werden müsste – oder wenn es schon untersucht wurde, die Ergebnisse und Quellen zu nennen.

Um den Erwartungswert für die Verteilung von Machtpositionen zu bestimmen, müsste man wissen, wie viele Personen die sachlichen Anforderungen erfüllen und die Position gerne hätten. Wobei zu den Kompetenzen auch die Bereitschaft zählen kann, den Job vor die Familie zu stellen, hohe Risiken einzugehen oder 1.000 Angestellte zu entlassen. Mit unserer Familienministerin Anne Spiegel konnten wir gerade miterleben, welche menschlichen Tragödien sich ereignen können, wenn ungeeignete Personen an die falsche Position gestellt werden, nur weil sie das richtige Geschlecht haben! Das alles müsste untersucht werden – was tut Lesch? Nichts.


Unter Punkt 10 stellt er tatsächlich die Frage nach den Gründen, endlich, aber er beantwortet sie nicht. Von all dem was oben genannt wurde, behandelt er nichts. Er zeigt an einer Grafik, dass sich die Stundenlöhne von Männern und Frauen ab etwa dem 30. Lebensjahr auseinander entwickeln und weist darauf hin, dass Frauen jetzt Mütter würden und fährt fort, Frauen würden nun wohl anders bewertet. Tatsächlich sagt er, es ‚scheint‚ Frauen würden jetzt anders bewertet; korrekt bedeutet das, dass es so aussieht als ob, aber nicht so sein muss. Das müsste man jetzt näher untersuchen …

Dann sagt er, dass Frauen jetzt mit 30 Kinder bekämen und darum in Teilzeit gingen und dadurch in Berufe mit geringerem Verdienst kämen. Seine Kurve zeigt aber etwas ganz anderes: die Löhne von Frauen steigen ab jetzt nicht weiter an, es scheint keine Karrieren zu geben, die mit Einkommens-Steigerungen verbunden sind. Für Karrieren gibt es verschiedene Bedingungen – eine ist, dass man sie wollen muss. Wer nicht an Karriere interessiert ist … Das müsste man jetzt genauer untersuchen …

Ab Punkt 14 benutzt er den naturalistischen Umkehr-Fehlschluss:
Zunächst erwähnt er, manche Leute meinten Frauen würden vielleicht aus natürlichen Gründen andere Lebenswege wählen als Männer. Dagegen wendet er ein, dass natürliche Gründe nichts beweisen können. Den Versuch mit der Natürlichkeit etwas zu beweisen, nennt er den naturalistischen Fehlschluss. OK. Aber ganz so, als wäre damit das Gegenteil bewiesen, dass Frauen also nicht aus natürlichen Gründen heraus andere Lebenswege einschlagen können, fährt er fort und spricht nun von einer offensichtlichen Gerechtigkeitslücke. Diese ‚offensichtlichen Gerechtigkeitslücke‘ präsentiert er jetzt so, als hätte er sie mit seinen vorherigen Beweisen zwangsläufig nachgewiesen – aber er hat absolut NICHTS be- oder erwiesen! Er hat durch die Hintertür einige implizite Behauptungen aufgestellt und klug klingende Worte benutzt, aber verstanden hat er anscheinend gar nichts.

Er erklärt also, dass etwas nicht deshalb richtig ist, weil es natürlich ist, verschwindet in einem Tunnel, und als er wieder herauskommt tut er so als wäre jetzt bewiesen, dass etwas nicht richtig sein KANN, wenn es natürlich ist. Das ist der naturalistischen Umkehr-Fehlschluss und Umkehrschlüsse sind logisch wertlos.

Alles in Allem behandelt er Frauen wie Idioten, die nicht erkennen, was sie tun und wollen und im Leben alles falsch machen. Denn dass Frauen durchaus in Spitzenpositionen aufsteigen können, wenn sie wollen, haben sie nachhaltig bewiesen; das haben nicht nur eine Hand voll geschafft sondern Tausende.

Und dann liefert er seine Erklärung für die behauptete Gerechtigkeits-Lücke: Vorurteile. Dafür zitiert er die Ergebnisse von zwei Studien, die uns hier nicht weiter helfen, denn wir brauchen keine anderen Gründe: es gibt keine nennenswerte Gerechtigkeitslücke.

Resümee:

ProfessoX Dr. Lesch stellt eine Reihe zum Teil impliziter Behauptungen auf, ohne irgendetwas zu untersuchen oder zu beweisen. Er beschwört eine versteckte Macht herauf, die Frauen behindert (Verschwörungstheorie) und spricht den Frauen schlicht ab, für sich selbst entscheiden zu könne, wie ihr Leben aussehen soll. Wissenschaftlich ist das alles Müll, aber als Propaganda könnte es funktionieren, wenn die Zielgruppe ausreichend dumm ist.