ProfessX Lesch und die Gleichberechtigung – 1

Eine Analyse – Teil 1: Gerechtigkeit und Mittelwerte

Am 14.07.2021 bezieht ProfessoX Dr. Harald Lesch im ZDF – dem Sender für alle außer Männer –  Position für den Feminismus. In dem TerraX-Beitrag „Gleichberechtigung – was sagen die Fakten?“ wirbt er, ganz offensichtlich den Bonus des seriösen Wissenschaftlers ausspielend, für feministische Positionen, wobei er im sogenannten GenderPayGap (GPG) einen Indikator für eine gravierende Ungerechtigkeit zugunsten der Männer und zu Lasten der Frauen in Deutschland gefunden zu haben glaubt. Er macht Annahmen über eine wünschenswerte Gesellschaft und benutzt argumentative Strukturen, um aus Annahmen und Beobachtungen Schlüssen über den Zustand unserer Gesellschaft zu ziehen. Schlicht: er versucht zu argumentieren. Wollen mal sehen, wie ihm das gelingt.

Eine Transkription des Beitrags findet man hier; ein paar Zeitmarken können helfen, bestimmte Stellen im Video zu finden. Eine Zusammenfassung seines Videos findet man hier.

Zunächst muss ein Grundbegriff geklärt werden: Wie funktioniert ein gutes Argument? Ein Argument erfordert sowohl gültige Prämissen – also Voraussetzungen – als auch logisch richtige Schlüsse. Schlüsse aus dem Nichts oder ungültige Prämissen lassen ein Argument scheitern. Schauen wir uns mal seine Argumentation daraufhin an. Um den Überblick zu behalten, habe ich seinen Versuch in einzelne Punkte unterteilt, die ich nach und nach abarbeiten werde:

Teil 1: Werden Frauen in Deutschland benachteiligt?

In den Punkten 1 bis 3 erläutert Lesch, was der GenderPayGap ist, spricht vom unbereingten und vom bereinigten GPG und betont, dass beide sich deutlich unterschieden.

In Punkt 4 und 5 schließt Lesch dann aus der Existenz der Differenz zwischen bereinigtem und unbereinigtem GPG, dass Frauen eindeutig von den wichtigsten Positionen in DE ferngehalten werden. Ein gewaltiger Schluss – ist dieser nachvollziehbar?

Leider lässt ProfessX L. uns nicht teilhaben an seiner Eingebung, sein Schluss fällt ihm quasi aus dem Himmel auf die Füße. Also denken wir mal selber darüber nach …

Zunächst kann man daraus, dass es Frauen in allen Positionen gibt, wenn auch manchmal nur wenige Prozent, eindeutig schließen, dass sie nicht ferngehalten werden, denn dann gäbe es sie in diesen Positionen nicht. Sein Schluss ist also falsch. Aber Frauen könnten auf dem Weg dorthin evtl. behindert werden und das wäre nicht OK.

Als Prämisse nimmt er zunächst implizit an, die wichtigsten Positionen in Deutschland wären die besser bezahlten, denn der GPG sagt etwas über die Bezahlung aus, nicht über die Wichtigkeit. Aber das hängt davon ab, was man als wichtig ansieht; immerhin verdient ein Unternehmensvorstand schon mal 100 Mal mehr als eine vom Volk gewählte Bundeskanzlerin, die beispielsweise den Betrieb von Kraftwerken ganz einfach beenden kann. Diese Prämisse ist also nicht nur fragwürdig sondern im Einzelfall schlicht falsch. Da hat Lesch einen ganz grundlegenden Fehler gemacht.

Dann schließt er daraus, dass Frauen diese Positionen seltener inne haben als Männer, die Frauen würden von diesen Positionen ferngehalten. Das ist ein sprachlicher Trick: ‚ferngehalten werden‘ wird leicht verstanden als aktive Handlung der Behinderung, kann aber natürlich auch bedeutet, dass man sich selbst auf Grund einer klugen Entscheidung von etwas fern hält. Der Trick nutzt die Mehrdeutigkeit des Wortes, die es ermöglicht, sachlich nicht zu lügen, in der Wirkung aber schon. Was also meint Lesch? Es klingt bei ihm so, als gäbe es da Fremdweinwirkung, eine äußere Macht, die Frauen von bestimmten Positionen fernhält – und das Fragezeichen am Schluss ist rein rhetorisch. ‚Eindeutig‘ ist da gar nichts und diese Macht müsste bewiesen werden.

Aber es gibt noch eine wichtige Prämisse in Leschs ‚Argument‘: irgend wo her nimmt er die Annahme, es dürfe keinen GPG geben, Männer und Frauen müssten in einer gerechten Welt gleich viel verdienen. Nicht für gleiche Arbeit, das sollte selbstverständlich sein, sondern ganz allgemein. Das heißt, im Mittel sollten Frauen gleichviel verdienen wie Männer im Mittel. Das ist eine seltsame Forderung, die etwas mit Verteilungsfunktionen zu tun hat: individuell findet er wohl OK dass jeder einen anderen Lohn hat, aber in 2 Gruppen geteilt, müssen beide Gruppen im Mittel das gleiche verdienen – wie so?

Um Gleichheit der Mittelwerte zu erreichen müsste entweder in den Berufen, die Frauen bevorzugen, so bezahlt werden wie in den Berufe, die Männer bevorzugen. Aber so einfach ist das nicht, denn es geht ja nicht um zwei Berufe sondern um viele. In denen dürfte dann zwar unterschiedlich bezahlt werden, es dürfte also arme und reiche Frauen geben, aber im Mittel müssten beide Geschlechter gleich viel verdienen. Das bedeutet unter Anderem, dass die Löhne angepasst werden müssten, wenn Frauen ihre Berufswünsche ändern!!! Stürzten sich plötzlich viele Frauen auf ein Fach, das besonders gut bezahlt wird, dann – ja was dann? Müssten dann die Löhne in dieser Fachrichtung gesenkt werden, damit der Durchschnitt noch stimmt? Oder müssten alle anderen etwas mehr verdienen??? Oder dürften Frauen – und Männer selbstverständlich auch – sich ihre Berufe nicht mehr selbst auswählen, würde das Ministerium für Gender-Gerechtigkeit diese zuweisen?

Da würde sich doch sofort die Frage stellen, wieso überhaupt in unterschiedlichen Berufen unterschiedlich entlohnt wird. Ausbildung, Berufserfahrung, Nachfrage und Angebot würden keine Rolle mehr spielen? Der Durchschnitt wäre entscheidend und der Mittelwert müsste immer gleich bleiben?

Was bekäme dann z.B die Pferdewissenschaftlerin mit Bachelor an der Kasse im Lidl, oder der Altenpfleger mit Bachelor in Sinologie im Altenheim? Würde das im Ministerium für Gender-Gerechtigkeit bestimmt? Die Frage wovon Einkommen abhängen, ist sehr schwierig zu beantworten, aber ein Mittelwert kann da sicher nicht die Lösung liefern. Entscheidend muss in einer freien Gesellschaft letztlich doch die freie Wahl des Einzelnen sein, und da spielt die Bezahlung nur eine von mehreren Rollen und nicht immer die wichtigste.

Der andere Weg im Gender-Mittel Lohngleichheit zu erzielen wäre, dass die Frauen andere Berufe wählen müssten als die bisher bevorzugten: in einer gerechten Welt müssten Frauen letztlich in allen Berufen gleichermaßen wie die Männer vertreten sein: fifty-fifty. Also beim Dachdecken und Gerüstbauen genauso wie bei der Feuerwehr, auf der Bohrplattform oder im Straßenbau – wer hält die Frauen eigentlich davon ab, in den Straßenbau zu gehen?

Woher holt Lesch diese nicht nachvollziehbare Prämisse? Meint er vielleicht, alle Menschen seien gleich und deshalb müsste alles gleich sein, was mit Menschen zu tun hat? Hat er diesen dummen Kindergarten-Gleichheits-Glauben? Ich glaube, Lesch hat da überhaupt nicht drüber nachgedacht und das wäre die schmeichelndste Erklärung.

Teil 2 folgt hier.