Was ist Faschismus?

‚Faschismus‘ ist ein schwieriger, nach meiner Überzeugung aber auch wichtiger Begriff. Ich habe Erklärungen von Historikern gelesen, die den Faschismus auf eine Landarbeiterbewegung – die ‚Fasci revoluzzionari‘ – nach 1890 in Sizilien begründen und damit auf diese ausweiten; andere meinten damit nur Italien unter Mussolini von 1919 bis 1943. Viele meinen mit ‚Faschismus‘ ein bestimmtes historisches Ereignis – haben dann allerdings den neo-Faschismus erfunden um dem Dilemma zu entgehen, dass es sonst ja nie wieder Faschismus geben könnte. Wieder andere sprechen aber zur Abgrenzung vom ‚italienischen‘ Faschismus; und dann ist es Mal eine politische Bewegung, mal eine Herrschaftsform.

Heute kenne ich Definitionen, die auf eine Führerfigur abheben – diese Definition wird von manchen Linken gerne benutzt, die so wohl sicherstellen wollen, dass ihnen kein Spiegel vorgehalten werden kann in dem sie sich selbst als Faschisten erkennen können – obwohl auch Linke starken Führerfiguren oft nicht abgeneigt sind und waren …

Häufig werden aber auch allgemein rechts gerichtete Diktaturen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als faschistisch bezeichnet. Immerhin sieht es mittlerweile so aus, als habe man sich darauf geeinigt, dass es sich um eine Herrschaftsform handelt (http://www.politik-lexikon.at/faschismus/).

Interessante Überlegungen zur Frage, was Faschismus ist, findet man – mit umfangreicher Diskussion – hier: https://allesevolution.wordpress.com/2020/06/24/faschismus/

Dem gegenüber steht der sehr viel weiter gefasste Gebrauch des Begriffs ‚Faschismus‘ im täglich Sprachgebrauch, wo ‚faschistisch‘ für fast alles benutzt wird, was politisch als sehr schlimm angesehen wird, bis hin zum Sozialismus und Kommunismus. Hier wird der Begriff auch nicht mehr auf eine Herrschaftsform begrenzt sondern sehr unspezifisch und allgemein verwendet. In manchen Köpfen ist Faschismus alles, was nicht links ist, in vielen das Gleiche wie Nationalsozialismus und fest verbunden mit Springerstiefeln, Bomberjacken und Glatzen; wobei nicht an amerikanische GIs gedacht wird, die ja ähnlich umher laufen.

Der Hintergrund für dieses Wirrwarr dürfte zum Teil darin liegen, dass die Arbeiten von Wissenschaftlern einerseits untereinander nicht angestimmt, andererseits vollkommen losgelöst vom allgemeinen Gefühl und Sprachgebrauch der Menschen sind. Eine zusätzliche Quelle für dieses Wirrwarr ist vermutlich, dass dies alles zum Teil aus dem Bauch geholt wird, wobei aber hinter allen Unterschieden eine unbewusste Gemeinsamkeit gespürt wird: die menschliche Komponente, die Faschismus einerseits in seinen unterschiedlichen Formen erst möglich, andererseits seine Folgen so schlimm macht.

Eine erweiterte Sicht auf den Faschismus

Zwar kann man Begriffe definieren und damit versuchen, ihren Gebrauch festzulegen, aber solche Definitionen können nur sinnvoll sein, wenn sie in irgendeiner Form zum üblichen Sprachgebrauch und damit zu den Erwartungen der Menschen passen, die Sprache verwenden. Begriffe verschieden und uneinheitlich zu definieren und das gegen deren üblichen Gebrauch, ist zumindest ungeschickt und führt zu Missverständnissen.

Ich habe mit den Jahren eine Vorstellung von Faschismus gesucht und entwickelt, die den weiten Rahmen des üblichen Verständnisses umfasst und außerdem einen wesentlichen, neuen Aspekt einbringt, der mir früher nie aufgefallen war: beim Begriff Faschismus sollte unterschieden werden zwischen den Symptomen, die sehr unterschiedlicher politischer Natur sein können, und dem gemeinsamen Hintergrund, einem bestimmten Weltbild und – weit gravierender – Menschenbild.

Dieses faschistische Menschenbild enthält als wesentliche Komponente, dass der Stärkere mit dem Schwächeren machen darf, was er will, dass es keine allgemeinen Menschenrechte und keine Menschenwürde gibt, sondern dass es immer zulässig ist, einen schwächeren zu knechten, zu bezwingen und auch zu töten, wenn es als nützlich erscheint; einfach, weil der Sieger der Stärkere, und damit zum Herrenmenschen bestimmt ist. Dieses Menschenbild kann wesentliche Eigenheiten des Faschismus’s des dritten Reichs erklären, passt aber genau so gut zu aktuellen Entwicklungen.

Voraussetzung für so ein Menschenbild dürfte vollkommene Freiheit von Empathie sein: wer mit anderen nicht im mindesten mitfühlen kann, das Leid, dass jemand anderes vor seinen Augen erlebt, nicht auch selbst spürt, kann in ihm kein Wesen wie er selbst ist erkennen, denn die Verbindung kann nicht gefühlt sondern nur als äußerliche Ähnlichkeit beobachtet werden. Das macht einsam, schafft aber eben auch die Möglichkeit, anderen Dinge anzutun, die man selbst nicht erleben wollte, die aber auch andere anderen nicht antun können, wenn sie zum Mitfühlen befähigt sind.

Unglücklicherweise erfüllt eine große Zahl ganz ’normaler‘ Menschen diese Voraussetzung mehr oder weniger ausgeprägt und ist damit grundsätzlich geeignet, schlimme Gräueltaten zu begehen – es gibt ja nicht nur die Extremfälle sondern auch leichte Formen von Empathielosigkeit. Je ausgeprägter sie ist, desto größer ist das Risiko, das von solchen Menschen ausgeht.

Besonders gefährlich wird es, wenn sich eine charismatische Person findet die es schafft, für diese Menschen zum ‚Führer‘ zu werden, in dessen Auftrag sie handeln, quälen und töten dürfen, wodurch es keine eigene Verantwortung für sein eigenes Tun zu geben scheint; das ist zwar nur eine Ausrede derer die vorgeben im Auftrag zu handeln, aber sie funktioniert offensichtlich. Ähnlich funktioniert das ‚Mitlaufen‘ in einem Mob; auch hier wird die persönliche Verantwortung auf ‚die Anderen‘ abgewälzt. Mit Zahlen kann ich das leider nicht belegen, aber ein Blick in die Welt wie sie ist und war bestätigt sofort, dass dieser Typ Mensch weit verbreitet ist und es problemlos bis in Konzernspitzen schafft.

Die Hintergründe des Faschismus sind sicherlich vielschichtig, aber Hinweise auf den Aspekt der Empathielosigkeit als Ursache von Faschismus vermisse ich in bisherigen Untersuchungen; bei Faschismus und Psychlogie steht meist die Psychologie der Massen im Mittelpunkt. Fragen nach der menschlichen, psychologischen Grundlage, auf der Faschismus letztlich beruht, oder Antworten darauf, habe ich bisher noch nicht finden können.

Für mich ist Faschismus jedenfalls nicht zu trennen von dem menschenverachtenden, mitleidlosen, ‚faschistoiden‘ Weltbild mit Herren- und Untermenschen, das in unterschiedlichen Formen großes Leid über die Menschen gebracht hat und bringen wird.

Schreibe einen Kommentar